IT-Systemhaus-Marketing: Neue Strategien für neue Geschäftsmodelle

2.976 – so viele IT-Systemhäuser gibt es aktuell (2023) in Deutschland. Wenn du für eines davon arbeitest oder es führt, dann bist du mit großen Herausforderungen konfrontiert.

Der Markt wandelt sich dramatisch und ein Großteil der IT-Systemhäuser befindet sich mitten in einer Transformation des Geschäftsmodells. Deshalb muss sich auch deren Marketingstrategie ändern.

Stehst du auch an diesem Punkt? In diesem Beitrag analysiere ich die aktuelle Situation und die Herausforderungen und arbeite die strategischen Stellschrauben für dein Marketing heraus.

Bedarf nach klassischen Systemhäusern schwindet

IT-Systemhäuser sind traditionell das Bindeglied zwischen den großen IT-Anbietern (Vendors) und den Anwender-Unternehmen. Typischerweise hat jeder Betrieb das Systemhaus seines Vertrauens, das in der Nähe sitzt. Wenn neue Computer gebraucht wurden, neue Kabel verlegt werden müssen: Anruf genügt und der Techniker kommt vorbei, bringt alles mit und installiert es. Auch Softwareentwicklung und Systembetreuung gehören zum Portfolio.

Das IT-Systemhaus macht alles, was mit IT zu tun hat, von den großen Business-Anwendungen wie ERP oder BI mal abgesehen (manche machen sogar das). Sie verdienen ihr Geld als Hardware- und Lizenz-Reseller und indem sie Techniker- und Entwickler-Stunden an ihre Kunden berechnen.

Dieses Geschäftsmodell kommt nun an sein Ende. Der Digitalisierungsschub in den Coronajahren hat die Entwicklung nochmals beschleunigt. Warum?

Kurz gesagt: Durch Cloud-Angebote und Managed Services (SaaS, PaaS, IaaS) ist der Bedarf an Hard- und Software, Infrastruktur und deren Betreuung stark gesunken. 

Mit einem Angebot wie Microsoft Office 365 lässt sich der komplette Standardbedarf an Software und Datenspeicherung abdecken. Für die anspruchsvollen Themen werden spezialisierte Anbieter und Berater gesucht. Für das klassische IT-Systemhaus bleiben in dieser Konstellation nur noch die Reste übrig.

IT-Systemhäuser verändern ihr Geschäftsmodell

Viele Systemhäuser haben das bereits erkannt und ihr Geschäftsmodell angepasst. Sie setzen mehr auf Beratung, spezialisieren sich auf bestimmte Digitalisierungsthemen und entwickeln eigene Cloud-Produkte, Managed Services und As-a-Service-Produkte (XaaS).

Dafür gibt es Bedarf. Die großen Hyperscaler – Microsoft, Amazon, Google und ähnliche – sind zwar gut und günstig. Doch sie verkaufen ihre Angebote nach dem Motto „friss oder stirb“. Kunden müssen den Standard kaufen. Individualisierung gibts nicht, höchstens für ganz große. Die Bedürfnisse des kleinen oder mittelständischen Betriebs sind für die Hyperscaler nicht von Belang. In diese Lücken können Systemhäuser mit Lösungen für besondere Anforderungen stoßen.

Außerdem steigt im Mittelstand die Nachfrage nach spezialisiertem IT-Know-how. Im Schatten der großen IT-Beratungshäuser gibt es noch genügend Platz im Markt. Für Systemhäuser ist das eine weitere Chance.

Marketing war bisher auf die Region ausgerichtet

Solange Systemhäuser bereit sind, sich zu verändern, haben sie weiterhin ihre Berechtigung. Zahlreiche Betriebe sind schon mitten in der Transformation. Nach einer Weile merken sie jedoch, dass das neue Geschäftsmodell ein großes Problem für sie mit sich bringt. 

Bisher war die gesamte Positionierung, Marketing und Vertrieb um einen Faktor herum aufgebaut: den regionalen Standort.

  • Zielgruppe: Unternehmen in der Region
  • Wichtigstes Argument im Vertrieb: Wir sind in der Nähe.
  • Marketingstrategie: Wir werden in der Region weiterempfohlen. 

Viele IT-Systemhäuser haben weder Marketing noch Vertrieb. Der Geschäftsführer nimmt Termine wahr und macht Kontaktpflege. Eine Agentur oder eine Person in Teilzeit pflegt die Website, gestaltet Anzeigen und organisiert Auftritte auf Regionalmessen.

Verändertes Geschäftsmodell zerstört die bisherige Marketingstrategie

Bietet das Systemhaus nun etwa Cloud-Produkte an, verliert der Faktor Regionalität plötzlich an Relevanz oder wird sogar hinderlich. Die Leistungen erfordern keine oder kaum Vor-Ort-Termine mehr. Deshalb ist es Kunden weniger wichtig, wo der Anbieter sitzt.

Wenn spezielle Beratung gesucht wird, ist Expertise und Erfahrung wichtiger als regionale Nähe. Und vieles kann heute digital abgewickelt werden. Videokonferenzen ersetzen persönliche Besprechungen.

Systemhäuser können nicht mehr mit ihrem besten Verkaufsargument punkten. Auch die (zufällige) Weiterempfehlung funktioniert überregional nicht mehr. Stattdessen sind sie auf einmal ein beliebiger Anbieter von vielen, ohne erkennbares Differenzierungsmerkmal. Sie konkurrieren mit dutzenden, hunderten oder tausenden überregionalen Anbietern: mit Systemhäusern, Herstellern, Start-ups, Beratern und so weiter.

Im Marktvergleich sind sie meist klein und praktisch unsichtbar. Und sie haben den Nachteil, dass sie keine funktionierenden Marketing- und Vertriebsstrukturen, wenig Know-how und Erfahrung in diesen Bereichen haben.

Mit dem neuen Angebot sind Systemhäuser gezwungen, zu wachsen. Die Investitionen und laufenden Kosten der neu entwickelten Produkte rentieren sich nur mit höheren Kundenzahlen. Gelegentlich ein neues Kundenunternehmen zu gewinnen, reicht nicht mehr aus.

(Dabei bremst auch der Personalmangel die Systemhäuser aus. Um mit ihren neuen Geschäftsmodellen zu wachsen, benötigen sie mehr und höher qualifizierte Mitarbeitende. Das angestaubte Image und die fehlende Sichtbarkeit helfen dabei nicht unbedingt. Besseres Marketing wäre also auch aus der Perspektive der Personalgewinnung dringend nötig.)

Herausforderungen einer neuen Marketingstrategie

IT-Systemhäuser müssen sich im Marketing neu aufstellen. Oftmals ist sich die Geschäftsführung bewusst, in welche Richtung es gehen sollte. Doch mit der Umsetzung hapert es. In meinen Gesprächen und Recherchen habe ich folgende Herausforderungen ausgemacht:

Fehlende Zielgruppendefinition

Wenn „KMUs in der Region“ als einziges Zielgruppenmerkmal wegfällt, ist da erst mal ein großes Nichts. Systemhäuser haben keine Erfahrung mit Zielgruppendefinitionen. Aus der Vergangenheit sind sie darauf konditioniert, niemanden auszuschließen und sind sogar stolz darauf, dass sie allen alles bieten können. Mit „KMUs“ als Zielgruppe lässt sich überregional jedoch nichts erreichen. Und Unternehmensgröße und Branche als „übliche Verdächtige“ sind nicht unbedingt geeigneten Kriterien. 

Keine Erfahrung

Wie bereits angesprochen, fehlt die Inhouse-Erfahrung im Marketing. Viele IT-Systemhäuser müssen im Online-Marketing praktisch von null an starten. Auch mit externen Dienstleistern ist es nicht weit her: wenn man mal googelt, was so im Bereich Systemhaus-Marketing angeboten wird, gruselt es einen. Viele Agenturen scheinen zusammen mit ihren Kunden in der guten alten Zeit stehen geblieben zu sein.

Im Wettbewerb mit Marketing-Riesen

Als Nächstes kommt die ebenfalls bereits angesprochene fehlende Differenzierung zum Tragen. Auch wenn sie sich spezialisieren, bieten IT-Systemhäuser immer noch dasselbe an wie viele andere, zumindest oberflächlich betrachtet. Sie verkaufen immer noch Lösungen von Herstellern, die selbst Millionen ins Marketing pumpen.

Ein beliebtes Produkt von Systemhäusern sind etwa virtuelle Arbeitsplätze mit Microsoft Office. Wie soll ein kleiner Betrieb mit solchen „Allerweltsthemen“ zu potenziellen Kunden durchdringen, und sich gegenüber den Herstellern und den großen IT-Dienstleistern durchsetzen?

Weitere Konkurrenz bekommen kleine Systemhäuser von den „Ketten“, wie Bechtle oder Computacenter. Diese wachsen stark und eröffnen überall regionale Niderlassungen, unterstützt durch ein starkes, zentrales Marketing.

Regionales Online-Marketing ist wenig effektiv

Manche möchten trotz allem ihren regionalen Fokus beibehalten: Sie schätzen den persönlichen Kontakt mit den Kunden und möchten ihre Identität nicht verlieren. Das ist verständlich. Jedoch schließen sie dadurch viele wirkungsvolle Marketingmaßnahmen aus oder verschenken Potenzial, etwa beim Content- und Social-Media-Marketing.

Die Content-Produktion kostet dasselbe, ob ich nun 500 oder 5.000 Unternehmen damit ansprechen will. Der ROI wird also niedriger sein als bei überregionalen Wettbewerbern. SEO (themenbezogen) lässt sich nicht regional steuern. 95 % der Besuche auf meinem Content werden Streuverluste sein. Dasselbe trifft auf Social-Media zu, etwa LinkedIn. Das Netzwerk nur auf regionale Kontakte zu beschränken, ergibt überhaupt keinen Sinn.

Google Ads lassen sich zwar regional ausspielen. Aber wie viele Kunden lassen sich darüber gewinnen, wenn für diese die regionale Nähe gar kein Kaufkriterium mehr ist?

Interne Widerstände

„Das haben wir schon immer so gemacht“ ist zum geflügelten Wort geworden, das den Widerstand gegen Veränderungen in Unternehmen ausdrückt. Plötzlich alles anders zu machen, löst bei manchen Mitarbeitenden Angst oder Ablehnung aus. Geschäftsführer/innen, die intern den Wandel vorantreiben, müssen viel Überzeugungsarbeit leisten.

Das muss sich beim IT-Systemhaus-Marketing ändern

Die neuen Geschäftsmodelle erfordern keine spezielle, komplizierte Marketingstrategie. Im Grunde müssen Systemhäuser „nur“ anfangen, weniger wie Systemhäuser zu denken, sondern mehr wie „normale“ IT-Hersteller oder IT-Dienstleister.

Die Strategien und Methoden, wie sich Cloud-Produkte, Managed Services und Beratung verkaufen lassen, sind bekannt. Der „Wandel im Kopf“ ist wahrscheinlich das Schwierige daran.

Deshalb beschreibe ich zum Schluss die aus meiner Sicht wichtigsten anstehenden Aufgaben. Damit legen IT-Systemhäuser die Grundlagen für ein erfolgreiches Marketing unter den neuen Bedingungen.

(Ich bin mir bewusst, es folgt jetzt häufig das Wort „müssen“. Jedoch sehe ich keine Alternative dazu.)

Marketing als Kernaufgabe wahrnehmen

Vor allem anderen müssen IT-Systemhäuser ihre Marketing-Aversion loswerden: Marketing ist nicht das, was man machen muss, wenn die eigenen Leistungen nicht gut genug sind. Marketing ist auch nicht das, was man den Azubi oder die „Dame am Telefon“ nebenher machen lässt. Marketing ist eine strategische Aufgabe, um die sich eine Person oder ein Team mit voller Kraft kümmern muss, mit voller Unterstützung der Geschäftsführung.

Sich spitz Positionieren

Als Nächstes müssen sich Systemhäuser von der „Wir machen alles für alle“-Denke verabschieden. Stattdessen benötigen sie eine spitze Positionierung. Sie müssen die beiden Fragen punktgenau beantworten können:

  • Für welche Unternehmen lösen wir konkret welche Probleme? 
  • Warum sollte unsere Zielgruppe bei uns kaufen?

Zur Erinnerung: Die Zielgruppe muss nicht durch Branche oder Unternehmensgröße definiert sein. Und Bla-bla-Argumente wie „Kompetenz“ oder „Innovation“ gelten nicht als Differenzierungsmerkmale.

Mehr erfahren: 

Den regionalen Fokus erweitern

Es gibt keinen objektiven wirtschaftlichen Grund, ein Cloud-Produkt nur regional zu vermarkten. Systemhäuser müssen nicht sofort deutschland- oder europaweit aktiv werden. Für sprunghaftes Wachstum sind meist weder die Prozesse noch der Personalstamm ausgelegt. Doch sie sollten zumindest schrittweise ihren engen regionalen Fokus erweitern.

Wenn sie sich bei den Outbound-Maßnahmen, etwa Telefonakquise, weiter auf die Region beschränken möchten, okay. Aber Interessenten von weiter weg abzulehnen, die über den Content aufmerksam werden und sich melden, ist einfach nur verschenktes Potenzial.

Beim Marketing zunächst auf ein Thema fokussieren

Trotz des neuen Geschäftsmodells werden Systemhäuser weiterhin verschiedene Leistungen und Produkte anbieten, und Produkte von anderen Herstellern verkaufen. Gemessen an der Unternehmensgröße, wird ihr Portfolio immer noch relativ groß sein.

Das muss nicht schaden. Jedoch müssen die begrenzten Marketingressourcen zielgerichtet eingesetzt werden. Zu jedem Thema ist der Wettbewerb hoch. Versuchen Systemhäuser, gleich mehrere Themen zu besetzen, werden sie in der Masse untergehen.

Wenn sie etwa Content-Marketing betreiben, sollten sie sich auf ein Thema konzentrieren. Wenn sie ihre Kraft und ihre Budgets bündeln, können sie bei diesem Thema etwas erreichen, Autorität aufbauen und zu ihrer Zielgruppe durchdringen.

Mehr erfahren: Mit dieser Methode kannst du deine Content-Strategie für ein Thema erarbeiten.

Internes Know-how aufbauen

Wenn Marketing zur Kernaufgabe wird, ist es gefährlich, es komplett an Dienstleister auszulagern. Endet die Zusammenarbeit aus irgendwelchen Gründen, ist das Know-how gleich mit weg. Oder man ist dem Dienstleister ausgeliefert und muss zwangsläufig glauben, was er erzählt.

Deshalb müssen IT-Systemhäuser unbedingt mittelfristig eigene Marketingabteilungen und internes Know-how aufbauen. Nur so können sie langfristig im Wettbewerb mithalten und sich an veränderte Umstände anpassen.

Wahrscheinlich geht es trotzdem nicht ohne Agenturen oder Freelancer, zumindest bis eine gewisse Größe erreicht ist. Jedoch sollten Systemhäuser darauf achten, dass sie die Strategie nicht komplett aus der Hand geben. Ideal sind Dienstleister, die mit dir gemeinsam eine Strategie erarbeiten, diese testen und weiterentwickeln; die dich und dein Team befähigen, mit der Zeit selbst zu agieren und Entscheidungen zu treffen.

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